DER EINFLUSS DER HORMONE AUF DIE STIMME

Die Stimme ist im Laufe des Lebens konstant hormonellen Einflüssen unterworfen, welche die Stimmentwicklung beeinflussen, auslösen und bedingen.

Ein markanter Einschnitt ist die Phase der Mutation (Stimmbruch) bei Jungen und Mädchen. Bis zur Pubertät unterscheidet sich die stimmliche Entwicklung beider Geschlechter nur wenig. Mit Einsetzen der Pubertät weichen die Entwicklungsstränge erheblich voneinander ab.

Stimmveränderungen bei Frauen treten zudem zyklusbedingt, während der Schwangerschaft, in der Stillzeit und im Klimakterium auf.


DER WEIBLICHE ZYKLUS

Der Kehlkopf als sekundäres Geschlechtsmerkmal reagiert sensibel auf hormonelle Einflüsse. So lassen sich im Verlauf des Zyklus Veränderungen in der Struktur der Stimmlippen und der Schleimhaut feststellen und es kann zu einer erhöhten Schleimproduktion kommen.  

Auch Schwellungen und knotenförmige Verdickungen im mittleren Drittel der Stimmlippen konnten nachgewiesen werden. Die Zunahme des Stimmlippenvolumens hat Einfluss auf deren Schwingungsverhalten, was sich bei den Sängerinnen als Verlust oder zumindest Einschränkung der stimmlichen Kontrolle und der Stimmstabilität bemerkbar macht.

 

Folgende zwei Formen zyklusbedingter Auffälligkeiten treten häufig auf:

prämenstruelle Dysodie:

  • ist gekennzeichnet durch einen heiseren, rauen Stimmklang und eine starke Einschränkung der Tragfähigkeit des Stimmklangs

  • hat charakteristisch Tonabbrüche, eingeschränkten Stimmumfang, Auffälligkeiten in der Stimmdynamik und der Intonationsfähigkeit zur Folge

menstruelle Dysodie:

  • häufiges Absinken der Stimmlage und eine Einschränkung der Höhe

  • die Tragfähigkeit und Leistungsfähigkeit der Stimme ist eingeschränkt

  • auch ein Druck- und Engegefühl sowie massive Trockenheit und Verschleimung sind typische Einschränkungen

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Zu diesen Einschränkungen kann erschwerend eine reduzierte Atemleistung dazu kommen, so dass im Gesang die entscheidende Stützfunktion nicht stabil gehalten werden kann. Übermässige Stimmbelastung in dieser Phase kann zu massiven Folgeschäden führen.


SCHWANGERSCHAFT

Wer sich bei Sängerinnen umhört, kriegt die ganze Palette an Möglichkeiten zu hören.

Die Äusserungen reichen von „völlig problemlos“ über „ein bisschen wenig Atem hatte ich schon“ bis hin zu „Ich konnte unmöglich mehr singen! Meine Stimme klang rau, heiser und belegt. Zudem hatte ich keine Kraft in der Stimme, Kontrolle über Dynamik und Intonation fehlten mir ganz“.

Hormonelle Einflüsse verändern den Wasserhaushalt und die Durchblutung des Körpers. Auch die Schleimhäute des Kehlkopfes reagieren sensibel auf den veränderten Hormonstatus.

Häufig ist ein Absinken der Indifferenzlage festzustellen und das Stimmtimbre kann sich ändern. Die Stimme klingt oft voller und tragfähiger und wird weicher und wärmer im Klang. Der Tonumfang kann sogar erheblich zunehmen.

Die veränderten Atemverhältnisse und damit die fehlende Stützfunktion erschweren das Singen zusätzlich.

Nicht selten manifestieren sich bereits bestehende, aber bis dahin unauffällige Stimmstörungen während dieser sensiblen Phase. In diesem Fall ist eine Stimmtherapie notwendig.

Bei der Laryngopathia gravidarum- einer pathologischen Stimmstörung, welche während der Schwangerschaft auftreten kann- sorgt v. a. die Ausschüttung von Progesteron für Probleme. Progesteron fördert die Entstehung von Stimmlippenödemen, was zu Trockenheit, Enge-Empfinden und Schmerzen im Kehlkopfbereich führt.


STILLZEIT


Auch das Hormon Prolaktin, welches eine wichtige Rolle bei der Milchbildung spielt und vermehrt während der Stillzeit produziert wird, kann Auswirkungen auf die Stimme haben.

Sängerinnen klagen über eine schwerfällige Stimme, Kontrollverlust im Bereich der Dynamik, Probleme bei den Registerübergängen und allgemein über wenig Kraft und Tragfähigkeit der Singstimme.


KLIMAKTERIUM


Das Klimakterium bezeichnet einen Zeitraum vom ca. 45. bis 55. Lebensjahr, in dem es zur Abnahme und schliesslich zur fast vollständigen Einstellung der hormonellen Produktion im Eierstock kommt.

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Das Verhältnis von Schleimhaut- und Knochenanteil im Stimmapparat ändert sich und führt zusammen mit einer „neuen Mischung“ von Östrogen- und Androgenproduktion zu einer Maskulinisierung der Stimme. Die Nervenleitungen werden langsamer und die Kontrolle über die Stimme wird damit geringer. 

Der physiologische Prozess verläuft allmählich und erstreckt sich über einen längeren Zeitraum. Die pathologische Form setzt abrupt ein und manifestiert sich in auffälligen, stimmlichen Einschränkungen.

Die Stimmlippen sind häufig etwas verdickt und auch die Larynxschleimhaut wird zäher. In der Folge sinkt die Sprechstimmlage bei einem Großteil der Frauen. Die Abnahme des Stimmumfangs – insbesondere der hohen Frequenzen – ist eine weitere Folge. Der Stimmklang ist oft rauer, weniger tragfähig und resonanzärmer.

Stroboskopisch sind teilweise Irregularitäten im Schwingungsvorgang und Amplitudenunterschiede zwischen den beiden Stimmlippen festzustellen.


UND WAS IST MIT DEN MÄNNERN?

 

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Männerstimmen verändern sich im Laufe des Lebens. Sehr eindrücklich geschieht dies in der Mutation, der Zeit des Stimmbruchs, wenn die Sprechstimmlage deutlich tiefer wird.

Auch im Alter, meist zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr, verändert sich der männliche Hormonstatus wieder - die Sprechstimmlage kann dadurch leicht erhöht werden. Bei einer starken Ausprägung spricht man hier von einem Greisendiskant. Auch die Leistungsfähigkeit, der Umfang und die Dynamik der Stimme nehmen ab. Beim Singen kann eine unkontrollierte Zunahme des Vibratos Ausdruck für eine Beschränkung der neuronalen Steuerung des Stimmappartes sowie dessen Koordination sein.

All dies sind vollkommen normale Alterserscheinungen und sollten, wie Falten oder graues Haar, akzeptiert und angenommen werden. Singen ist auch eingeschränkt mit viel Freude weiterhin möglich. Häufig empfiehlt sich ein Stimmwechsel, zum Beispiel vom Tenor zum Bass im Fall von fehlender Kraft und Höhe. Mit kompetenter gesangspädagogischer Begleitung kann aktiv weiter musiziert und gesungen werden.

 

STIMMANPASSUNG BEI TRANSIDENTITÄT 

Frauen- und Männerstimmen unterscheiden sich in Resonanz, Sprachmelodie und Betonung. Am markantesten sind jedoch die unterschiedlichen Sprechstimmlagen.

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Passen bei transidenten Menschen Stimme und Geschlecht nicht zusammen, gibt es verschiedene Möglichkeiten der Stimmanpassung. 

Bei Transmännern kann ein Stimmbruch hormonell eingeleitet werden. Durch die Hormonbehandlungen wächst der Kehlkopf und der Wechsel in eine tiefere Sprechstimmlage ist oft ohne weitere Unterstützung möglich. 

Bei Transfrauen kann der in der Pubertät gewachsene Kehlkopf nicht wieder verkleinert werden durch Hormongaben. Eine weibliche oder genderneutrale Tonlage kann hier aber mit einer Operation und/oder einem logopädischen Stimmtraining erreicht werden. Bei transidenten Mädchen, die noch vor der Pubertät stehen, können Hormone das Kehlkopfwachstum verhindern. So kann man eine höhere und weiblichere Sprechstimmlage erhalten.